(Indiepop) Waldläufer, Minnesänger, Schlägerjungen. Träumer, Denker, Grübler. François Dillinger wecken viele Assoziationen…
Münchener Freiheit, psychedelische Trips, Dagobert, Schülerrockband auf Buffalofahrrädern (zu Zeiten der RAF). Waldläufer, Minnesänger, Schlägerjungen. Träumer, Denker, Grübler. François Dillinger wecken viele Assoziationen – was nicht von Ungefähr kommt, üben sich die vier Münsteraner doch in vielerlei Hinsicht in Uneindeutigkeit. Die Gruppe klingt im einen Moment noch äußerst gegenwärtig, dann, im nächsten Part, wie das Relikt aus einer anderen Zeit, bewegt sich dabei formal wie inhaltlich im Spannungsverhältnis vom Schlager der 1970er Jahre, NDW und britischer Rockmusik, das Ganze gespielt mit einer Leichtfüßigkeit, als hätten sie all die genannten Musikgenres höchstpersönlich miterlebt.
Doch weit gefehlt, François Dillinger existieren erst seit 2015.
Die Bandmitglieder sind noch jung, pflegen jedoch einen so souveränen Umgang mit ihren Instrumenten, sind dermaßen furchtlos und sicher im Songwriting, dass die musikalischen Elemente der vielen anzitierten musikalischen Epochen nicht erst verschmelzen müssen, nein, sie erscheinen direkt in einem Guss.
Wer steckt dahinter, wer sind diese jungen Männer, die spätestens mit ihrer aktuellen EP »Scorpion Kick«, aufwändig und feinsinnig produziert von Messer-Bassist Pogo McCartney, so klingen, als musizierten sie schon eine halbe Ewigkeit miteinander? Man wähnt lange Haare, Kleidung aus Cord, abgewetzte Jeansjacken, Bärte. Dann ist da wieder irgendetwas, das sie in der Gegenwart verortet, das klar macht: die sind 2020, studieren oder gehen in den Boxverein, fahren Fahrrad, trinken Bier. Vielleicht sind François Dillinger ja tatsächlich Zeitreisende und tatsächlich in gleich mehreren Dimensionen zuhause?
Um es etwas konkreter zu machen und den Spaß, der das alles vor allem macht, einmal kurz beiseite zu lassen: François Dillinger, namentlich Luca Stöver (Rhythmusgitarre und Gesang), Anton Zimmermann (Schlagzeug), Julius Brößkamp (Liedgitarre) und Mathis Bauer (Bass), folgen einer selten gewordenen klanglichen Vision, legen Schicht auf Schicht, bis Klangteppiche entstehen, so tief, dass man sich darin verlieren kann. Sie fürchten die epische Breite nicht, schrecken auch nicht vor mittelalterlichem Pathos zurück, scheinen keinerlei Zweifel an ihrer Sache zu hegen. Und das ist gut für den Sound!
Alles greift ineinander, ist getrieben von einer lebendigen, organischen Dramaturgie, hier noch glatt und dann im fließenden Übergang verzerrt, kommt technisch einwandfrei daher, wirkt dabei aber niemals standardisiert. Auch der sanfte und erzählerische Gesang, textlich geschult an der deutschen Romantik, umgarnt, kommt dich ans Ohr, ist dabei weich, wird eins mit den Instrumenten. Ja, hier sind wahre Musiker am Werk, Gelehrte an den Instrumenten, die den Takt- wie den Genrewechsel beherrschen und Musik bis ins kleinste Detail denken. Und fühlen. Denn das ist der zweite große Faktor: François Dillingers Musik lebt von einer großen Herzlichkeit, von Sphären des Traums, der Sehnsucht, von ergreifenden Intensitäten, die schwelgen lassen. Kaum zu glauben, dass es so etwas noch gibt. –Hendrik Otremba